FC Ajax Amsterdam 0:8 FC Bayern München
 
Di., 07.11.1978
Abschiedsspiel für Johan Cruyff
Amsterdam
Olympiastadion
 
Taktische Aufstellungen
Tore:  K.-H. Rummenigge (3), Breitner (3), G. Müller (2)
 
Analyse
In seiner Karriere feierte Johan Cruyff viele Erfolge. Das Abschiedsspiel misslang dem Niederländer aber völlig. Gegner Bayern München demontierte Cruyffs Team. Im Magazin "11 FREUNDE" erinnert sich Abwehrspieler Kurt Niedermayer an die Klatsche für Ajax Amsterdam. Abschiedsspiele haben einen festen Rahmen. Für gewöhnlich enden sie unentschieden, und der alte Held darf mindestens ein Tor selbst schießen, gern auch mit Entgegenkommen der gegnerischen Defensive. Mit Fußball hat so ein Schaulaufen nichts zu tun, normalerweise. Doch was war schon normal, wenn in den Siebzigern Ajax gegen Bayern spielte? Ich war ein Jahr zuvor vom Karlsruher SC zum FC Bayern gewechselt, nachdem sich Franz Beckenbauer in die USA zu Cosmos New York verabschiedet hatte. Damals gehörte ich zu den jüngeren Spielern, stand in der Hierarchie weit unten. Für mich war es eine besondere Ehre, dass wir zur Verabschiedung dieses großartigen Spielers eingeladen worden waren. Natürlich hatte ich die große Ajax-Zeit als Jugendlicher im Fernsehen verfolgt, als die Mannschaft den europäischen Fußball prägte und Johan Cruyff besonders herausragte. Doch an diesem Tag, an dem wir ihm die letzte Ehre erweisen sollten, es war der 7. November 1978, lief es von an Anfang komisch. Wir fühlten uns wie das fünfte Rad am Wagen, waren anscheinend nur eingeladen worden, damit überhaupt ein Spiel zu Ehren von Cruyff stattfinden konnte und letztendlich Elf gegen Elf auf dem Platz standen. Die Merkwürdigkeiten vor dem Spiel waren unübersehbar: Wir wurden am Flughafen nicht abgeholt und das Hotel erwies sich als eher zweitklassig. Wenn wir nicht angereist wären, hätte es wohl auch keinen weiter gestört. Paul Breitner hat hinterher erzählt, dass wir schon beim Warmlaufen vom Publikum als "Nazi-Schweine" beschimpft wurden. Er sagte, auf dem Weg vom Platz zur Kabine hätten ihn die Zuschauer sogar angespuckt. Wie auch immer: Irgendwann war das Maß voll. Breitner, Sepp Maier, Gerd Müller und Branko Oblak haben in der Kabine miteinander gesprochen und anschließend uns Jüngeren eingebläut, dass wir den Holländern ein echtes Spiel bieten sollten. Vielleicht hatten die Leitwölfe auch noch im Hinterkopf, dass sie 1973 hier im Europacup 0:4 baden gegangen waren. Ich kann mich aber nicht daran erinnern, dass wir Cruyff in Manndeckung genommen haben, wie holländische Medien bis heute behaupten. Wir haben einfach versucht, so viele Tore wie möglich zu erzielen und gleichzeitig keine Gegentreffer zu kassieren. Wir nutzten unsere zahlreichen Torchancen. Schon zur Halbzeit stand es 3:0, am Ende hatten wir 8:0 gewonnen - durch jeweils drei Tore von Gerd Müller, Karl-Heinz Rummenigge sowie zwei von Breitner. Dass sich Rummenigge im letzten Jahr offiziell bei Cruyff für die "Beleidigung von 1978" entschuldigt hat, dürfte eher etwas mit höherer Sportdiplomatie zu tun gehabt haben. Letztendlich hatten wir das Spiel in dem Moment abgehakt, in dem wir das Ajax-Stadion verließen. Auch als wir Anfang der Achtziger im Europapokal der Landesmeister wieder aufeinander trafen, sprach keiner mehr von der "Schande von Amsterdam". Ich habe leider bis heute nicht erfahren, wie Cruyff die bittere Niederlage erlebt hat. Der Kontakt zu ihm beschränkte sich auf ein kurzes Händeschütteln vor der Begegnung. Die Zuschauer, die extra wegen ihres Idols gekommen waren, artikulierten ihren Ärger etwas deutlicher. Sie haben uns nach dem Schlusspfiff mit ihren Sitzkissen beworfen. Es war irgendwie ein komischer Abend. Hätte man uns vorher nicht zu Randfiguren degradiert, wäre vielleicht alles ganz normal gelaufen und wir hätten uns auf das übliche 4:4 oder 5:5 einigen können. Es kam dann aber etwas anders. (Quelle: www.spiegel.de)
Als endlich alles vorbei war, schleuderten die Zuschauer ihre Sitzkissen auf den Rasen. In der Redaktion der Amsterdamer Zeitung „Het Parool“ riefen zur selben Zeit die ersten wütenden Leser an: Eine Schande sei das, eine regelrechte Schande. Dabei hatte es ein großer Abend zum Abschied eines großen Fußballers werden sollen: Johan Cruyff trug zum Abschluss seiner Karriere noch einmal das Trikot von Ajax Amsterdam. Fast 60 000 Zuschauer waren an diesem 7. November 1978, einem Dienstagabend, zu seinem Abschiedsspiel gegen Bayern München ins Amsterdamer Olympiastadion gekommen. Doch aus dem Fest wurde ein Debakel für Cruyff – und für Ajax. Die Bayern gewannen 8:0. „Ein Abschiedsspiel gegen eine westdeutsche Mannschaft, das war vielleicht doch keine so gute Idee“, schrieb „Het Parool“ noch ein Vierteljahrhundert nach der Partie. Udo Horsmann, der damals in Amsterdam für die Bayern spielte, sagt heute: „Das war wohl nicht die feine Art von uns.“ Allerdings hat er an die Begegnung selbst „nur noch schemenhafte Erinnerungen“. In Amsterdam aber und für Ajax bleibt das 0:8 unvergessen. Bis heute (Stand: 29.09.2004) ist es die höchste Niederlage der Vereinsgeschichte. Am Dienstag (20.45 Uhr/live bei Sat.1 und Premiere) treffen beide Mannschaften wieder aufeinander, zum ersten Mal seit neun Jahren, seit Ajax’ 5:2-Sieg im Halbfinale der Champions League. Wenn Bayern gegen Ajax spielt, gibt es immer noch ein paar alte Rechnungen zu begleichen. So war es auch vor 26 Jahren. Die Münchner hatten noch nicht vergessen, dass sie 1973 im Europapokal der Landesmeister 0:4 bei Ajax verloren hatten, im August 1972 in einem Freundschaftsspiel sogar 0:5. Mitleid mit Cruyff? „Damals eigentlich nicht“, sagt Torhüter Sepp Maier heute. Normalerweise habe man sich vor solchen Freundschaftsspielen immer auf ein möglichst spektakuläres Resultat für die Zuschauer geeinigt, ein 5:5 zum Beispiel. „Gegen Inter Mailand haben wir mal in Böblingen gespielt und vorher ein 4:4 ausgemacht. Als wir 4:1 führten, haben wir uns zurückgehalten. Das Spiel ging 4:4 aus“, sagt Maier. „Von Ajax aber haben wir überhaupt nichts vernommen.“ Die Münchner glaubten daher, der Gegner seinerseits wolle Ernst machen. Demnach hätten sie in purer Notwehr gehandelt. Alles nur ein Missverständnis also? Wahrscheinlich nicht. Die Bayern hatten schon die Umstände ihrer Reise nach Amsterdam als nicht besonders freundlich erlebt. Bei ihrer Ankunft am Flughafen war niemand erschienen, um sie in Empfang zu nehmen; das Hotel, in dem sie unterkamen, empfanden die Münchner als zweitklassig, und beim Warmmachen im Stadion wurden die Spieler als „Nazi-Schweine“ beschimpft. „Von Beginn an herrschte auf den Tribünen eine antideutsche Stimmung“, sagt Martin Jol – ein Holländer, der damals für die Münchner spielte. In der Kabine richtet Paul Breitner das Wort an seine Mannschaft. Er ist die treibende Kraft: „Herrschaften“, sagt er, „wir werden heute Geschichte schreiben“. Schon in der zweiten Minute bringt Gerd Müller die Bayern mit dem ersten seiner beiden Tore in Führung, Karl-Heinz Rummenigge und Paul Breitner treffen an diesem Abend je dreimal. Als es 4:0 steht, versucht sogar der holländische Schiedsrichter Jan Beck mäßigend auf die Münchner einzuwirken. Er fragt Müller, ob sie es jetzt nicht ein bisschen ruhiger angehen lassen wollten. Müller antwortet: „Wir machen so weiter.“ Als Cruyff fünf Minuten vor dem Ende ausgewechselt wird, sind gerade noch 30 000 Zuschauer im Stadion. Dafür sehen 100 Millionen Menschen das Spiel im Fernsehen: In Brasilien, Mexiko, Israel, Algerien, Marokko, Griechenland, Österreich und Frankreich wird die Begegnung direkt übertragen. Für die Bayern, die wenige Jahren nach ihren Erfolgen im Europapokal, nur noch Mittelmaß sind, ist das eine gute Gelegenheit, ein bisschen Aufsehen zu erregen. Paul Breitner hat der holländischen Fußballzeitschrift „Johan“ einmal erzählt: „Wenn man nur auf unser Spiel schaut, wird man erkennen, dass wir Traumfußball gespielt haben.“ Nur für Cruyff tut es Breitner leid. Vor dem Spiel haben die Bayern abgesprochen, den Star des Abends während des Spiels weitgehend unbehelligt agieren zu lassen. Daran halten sie sich. Cruyff kommt immerhin 74-mal an den Ball, wird aber von seinen Mitspielern, die sich auf ein nettes Freundschaftsspielchen eingerichtet haben, im Stich gelassen. Das Mitleid der Münchner hält sich daher in Grenzen. Paul Breitner soll nach dem Spiel lachend unter der Dusche gestanden haben, und Sepp Maier, der Torhüter, sagte in eine Fernsehkamera, er habe sogar einen Schuss von Cruyff absichtlich durchgelassen – „aber wenn er daneben schießt...“ Johan Cruyff bekommt zu seinem Abschied eine goldene Uhr und den Farbfernseher, den er sich gewünscht hat. „Schade fürs Publikum“, sagt er über das Spiel. Cruyff selbst erträgt das Debakel gelassen: „In ein paar Tagen werde ich es vergessen haben.“ Sein Abschied ist ohnehin kein richtiger Abschied. Nur ein halbes Jahr später spielt Cruyff wieder Fußball, bei den Los Angeles Aztecs in den USA, und 1981 kehrt er sogar noch einmal zu Ajax Amsterdam zurück. „Ich glaube, er wollte noch etwas richtig stellen“, sagt Martin Jol. Erst 1984 beendet Cruyff seine Karriere endgültig, nachdem er mit Ajax' Erzrivale Feyenoord Rotterdam noch einmal Holländischer Meister geworden ist. Auf ein Abschiedsspiel hat Johan Cruyff danach verzichtet. (Quelle: www.tagesspiegel.de)